Seit unserem letzten Interview ist so einiges passiert, wovon vielleicht nicht alles ganz positiv war. Besonders die Wassermassen in eurem Keller dürften doch relativ einschneidend gewesen sein. Wie sehr hat euch das überrascht? Der Fluss dürfte ja nicht sonderlich weit weg sein von hier.
„Fluss“ ist ja auch recht übertrieben, das ist ein kleiner Bach. Der ist hier drei Häuser weiter und wenn man dieses Rinnsal unten in seinem Bett sieht, würde man nicht davon ausgehen, dass davon mal irgendeine Gefahr ausgehen könnte.
Er führt 15 Zentimeter Wasser.
Das war eine große Überraschung, wie es auch alle Betroffenen geschildert haben. Es hieß dann ja, man hätte es wissen müssen und es hätte Warnungen gegeben. (lacht) Das kann ich jetzt so nicht bestätigen, dass da irgendjemand etwas gesagt hätte. Wir haben dann durch Google herausgefunden, dass es von der Landesregierung in Düsseldorf entsprechende Pläne gibt, wo nach Schweregrad Wasser in die Keller läuft und haben dort auch unser Haus gefunden. Da gab es eine Kategorie, die vielleicht alle hundert Jahre passieren kann, da war es dann auch so eingezeichnet, wie wir es in der Nacht gesehen haben, wie hoch das Wasser stand. Gott sei Dank haben unsere Nachbarn bei uns geklingelt, sonst hätten wir es wahrscheinlich nicht mehr geschafft, so viel zu retten, wie wir retten konnten. Aber es war allerhöchstens eine dreiviertel Stunde, die wir hatten, um alles zu retten, was in Bodennähe stand. Ab dann haben wir schon in Gummistiefeln gearbeitet.
Wir haben das Video gesehen, das war ja schon erschreckend.
Ja, beängstigend, das muss man schon so sagen. Wir sind wirklich Wasserratten, aber das hat uns richtig Angst gemacht, dieses Rauschen und diese brachiale Gewalt.
Wie hoch stand das Wasser?
Naja, das Problem ist, dass unser Keller immer und immer tiefer geht. Das hat sich dann natürlich ganz unten alles gesammelt, am Ende ist ein Schwimmbad. Noch etwas unter dem Beckenniveau ist die Technik, und dieser Raum war komplett geflutet. Im Schwimmbad, was ein sehr großer Raum ist, hatten wir einen halben Meter das Wasser stehen. Und überall, wo das Wasser zwischendurch hergeflossen ist, waren je nach Gefälle riesige Lachen. Man denkt dann erstmal, dass das gar nicht so viel aussieht, aber das täuscht. Wenn man anfängt, mit einem Nasssauger zu arbeiten, der 35 Liter fasst, ist man schon überrascht, wie lange man an einer vermeintlich kleinen Pfütze in einer Ecke arbeitet. Aber wir haben glücklicherweise letztes Jahr eine Elementarschadensversicherung abgeschlossen, die sind bis jetzt sehr kulant.
Nur eine Geschäftsinhaltsversicherung hatten wir leider nicht. Die CDs, die alle kaputt gegangen sind, und das waren ja auch über 15.000 Stück, die bekommen wir nicht ersetzt. Die Spätfolgen sind jetzt einfach nicht so schön. Man konnte ja erstmal nirgendwo Bautrockner leihen. Ich habe jetzt in meiner Verzweiflung drei gekauft, die schon seit Wochen laufen. Es ist unfassbar, was die da jeden Tag noch an Wasser aus den Wänden und Böden rausziehen.
Man denkt immer, dass es eigentlich ganz gut aussieht, aber es ist wirklich extrem.
Wenn man die anstellt, wird die Luftfeuchtigkeit angezeigt: 96%. Bei 100 regnet es (lacht). Es ist nach wie vor sehr hoch. Und es ist auch in Räumen feucht, wo gar kein Wasser gewesen ist, weil es in das Mauerwerk reingezogen ist und sich nach und nach seinen Weg sucht. Das war schon alles sehr unschön, aber natürlich hat es das Ahrtal weit schlimmer getroffen. Da sind wir hier fast noch mit einem blauen Auge davon gekommen.
Euren Zeitplan hat dies relativ durcheinandergewirbelt, was die kommenden VÖs angeht. Zudem die 15.000 vernichteten CDs. Wird es auch Folgen geben, die ihr nicht erneut auflegen werdet und von denen es keine Restbestände mehr gibt?
Ja, leider. Wir sind dabei in den social media zu verkünden, welche Folgen das sind. Die sehr alten Folgen laufen ja sowieso so langsam aus, davon hat es jetzt aber auch einige komplett erwischt und somit früher als gedacht. Die sind bei uns im Lager zu fünf Zweihunderter-Kartons aufgestapelt, die untersten zwei Kartons waren komplett betroffen. Da war nichts mehr zu wollen. Das sind auch so beliebte Folgen wie „Die Familie des Vampirs“, wo es sowieso nur noch dreihundert Stück von gab. Aber die sind leider alle im Juli klatschnass im Container gelandet. Wie wir es jetzt ja schon öfters kundgetan haben, ist es einfach nicht wirtschaftlich, diese Titel nachzupressen, die pro Jahr nur noch in sehr kleinen Stückzahlen gekauft werden. Das kostet Lübbe viel Geld mit der Lagerhaltung und uns nimmt es auch Platz im Lager weg, den wir dringend benötigen, weil jedes Jahr zwischen 15 und 20 neue Produktionen hinzukommen – und die müssen ja auch irgendwo hingestellt werden. Insofern laufen die Folgen nun nach und nach leider aus. Wir versuchen, das immer über die social media mitzuteilen, weil manche Leute immer bis auf den letzten Drücker warten.
Das ist natürlich alles sehr ärgerlich.
Weiß Gott! Und es war keine schöne Arbeit, unser überschwemmtes Lager auszuräumen. Kartons, die nicht mehr ganz voll waren, sind durch das Wasser instabil geworden, sodass die ganzen Türme umgekippt sind. Ich habe schon volle drei Tage gebraucht, um mich durch das Lager zu arbeiten. Am zweiten und dritten Tag war es kaum noch auszuhalten. Die Woche nach der Flut war ironischerweise sehr schönes Wetter, es hat nicht mehr geregnet und es war sehr warm. Und dann fing dieses Bachwasser schnell an, sehr unangenehm zu riechen.
Hat es denn auch eine aktuelle Produktion getroffen, die ihr entsorgen musstet?
Leider ja! Von dem geheimen Sherlock Holmes-Fall „Mayerling“ ist relativ viel betroffen gewesen, da wissen wir auch noch nicht genau, ob es nachgepresst wird. Ich glaube aber schon.
Das wird uns der Vertrieb sagen. (lacht) Je nachdem wie die Zahlen sind.
Das ist ja heutzutage nun einmal so, die Kollegen haben eine Software, die ihnen genau sagt, wie viel von dem Titel pro Jahr verkauft worden ist. Danach bemisst sich dann die Bestellung, und dann fängt ein bisschen das ge-pokere an: könnt ihr noch ein bisschen mehr nehmen, dann können wir es vielleicht doch nachpressen… Aber zu den Damen und Herren von Lübbe haben wir ja ein sehr familiäres Verhältnis, die haben uns auch in dieser Krise sehr unterstützt und waren bei allen Verschiebungen sehr verständnisvoll – das ist etwas, was wir alle nicht so gerne machen, weil es bedeutet, dass von den Titeln leider deutlich weniger verkauft werden wird. Das ist eine lange Kette bis zum Kunden und der weiß dann nicht, warum er es nicht bekommen hat und fragt seinen Händler. Und der hat vielleicht nicht immer Lust, beim Vertrieb nachzufragen, dann geistert schnell die Info herum, dass es gar nicht mehr erscheint. Es hat sich eigentlich immer bewahrheitet, dass es die verschobenen Titel letztlich sehr schwer haben.
Jetzt habt ihr zum Glück eine Reihe und keine Serie mit fortlaufender Handlung. Ihr habt dann die kommende Folge des Gruselkabinetts hinten angestellt, die kommt im Februar. Dafür ist es natürlich eine glückliche Situation.
Das stimmt. Aber es ist, wie es ist. Gott sei Dank betrifft es das Digitale ja nicht. Wer Streaming-Kunde ist oder die Downloads erwirbt, bekommt eine Nachricht von diesen Portalen, dass etwas Neues da ist und kann es hören. Die CD ist eher das Sorgenkind, seit vielen, vielen Jahren schon. Wobei etwas Interessantes passiert ist: Lübbe ist ja bei Sony weggegangen, wir sind da huckepack hintendrauf und gehen lustig mit, wohin Lübbe die Dinge für den Tonträgerhandel trägt. Und mit dem Wechsel zu Edel läuft auf einmal unser Holmes auf CD wie verrückt. Keiner weiß warum, aber wir freuen uns. (lacht) Im Moment kann noch keiner sagen, warum das so ist, aber es ist erst einmal eine gute Nachricht. Wir freuen uns ja auch über die Streaming- und Download-Kunden, aber es ist schön, wenn das Totenglöckchen für die CD nicht ganz so laut läutet und es noch ein bisschen dauert bis da die Tür zufällt.
Wir haben beim letzten Interview ja schon etwas über Corona gesprochen, haben aber nicht damit gerechnet, dass wir ein Jahr später immer noch mit derselben Geschichte hier sitzen. Welche Herausforderungen hab es für euch denn noch zu meisten? Ich habe zum Beispiel darüber nachgedacht, ob nicht auch Sprecher abgesagt haben.
Nein, überhaupt nicht. In der Branche wurde sehr schnell reagiert, ich habe von Schauspielern in Städten, in denen viel synchronisiert wird, gehört, dass man geschaut hat, dass die Personengruppen so klein wie möglich gehalten wurden, die sich da bei den Arbeitsprozessen begegnen. Und man hat noch mehr Wert auf Hygiene gelegt, also zum Beispiel den Mikrofonschutz immer wieder abzuwischen. Insofern war das überhaupt kein Problem, zumal wir selbst ja eigentlich durchgehend Einzel-Aufnahmen machen. Wenn ich die Schauspieler nach Hamburg, München oder Berlin ins Studio schicke, treffen sie da nur einen Tontechniker. Solange das mit den Impfungen noch nicht so weit fortgeschritten war, wurde natürlich auch mit Mund-Nasen-Schutz gearbeitet, bis alle Türen zu waren. Das ging also sehr gut.
Wie hat sich die Pandemie auf das Hörverhalten eurer Fans ausgewirkt. Hat sich beispielsweise der Trend zu Streamen weiter fortgesetzt?
Das Streaming wächst auf jeden Fall immer weiter. In der Phase des Lockdowns sind uns allerdings die ganzen Pendler weggefallen, das hatten wir nicht so auf dem Schirm. Wir haben erstmal gedacht, dass die Leute im Lockdown viel mehr Zeit haben, um Hörspiele zu hören. Da waren aber zwei Denkfehler drin: wir haben recht schnell selber gemerkt, dass die Situation, die für uns alle sehr ungewöhnlich und neu war, letztlich einen unglaublichen Stress bewirkt hat. Man war sehr müde, hatte wenig Lust sich auf Dinge einzulassen, die länger sind und bei denen man durchaus aufmerksam zuhören muss. Das haben wir auch in den Zahlen gesehen, die gingen nicht gerade hoch. Der Vertrieb hat uns noch darauf aufmerksam gemacht, dass die Kunden fehlen, die übers Streamen in der Bahn, im Bus oder im Auto auf dem Weg zur Arbeit gehört haben und die jetzt eben Homeoffice machen und daher nicht in dem Maße hören, wie zuvor. Da spielen dann noch so Dinge mit, wenn man beispielsweise schulpflichtige Kinder hat und die im Homeschooling betreut werden müssen. Das ist alles Zeit, die den Hörern letztlich gefehlt hat. Allergrößtes Verständnis dafür von unserer Seite, das war eine große Herausforderung für uns alle. Wir sind aber frohen Mutes, dass unsere Hörer auch alle wieder da sein werden.
Wie sich das jetzt entwickeln wird, müssen wir noch sehen, da wir ja jetzt gezwungen wurden, unsere Track-Länge bei Spotify auf drei Minuten zu verdoppeln. Das heißt, dass wir über dieses Portal in Zukunft nur noch die Hälfte verdienen werden. Wie sich das in den nächsten Monaten auswirken wird, müssen wir schauen.
Der Verdienst im Stream ist ja sowieso nicht besonders toll – das weißt du ja bestimmt. Es ist eine sehr schöne Sache für die User, die Produzenten gucken da leider ein wenig in die Röhre. Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir ein sehr großes und erfreulich populäres Programm haben, insofern kommt da immer noch eine schöne Summe dabei heraus. Die meisten Leute hören ja bei Spotify, das ist schon eine harte Pille, dass nicht nur wir, sondern alle Wortproduzenten gezwungen wurden, dort jetzt auf drei Minuten zu tracken.
Welche Gründe gibt es dafür?
Das war einem Major-Label ein Dorn im Auge, das nicht so viele Wortproduktionen im Angebot hat. Und dieser Major hat dann damit gedroht, dass sie ihre Künstler von Spotify entfernen, wenn das nicht knallhart umgesetzt wird.
Damit Spotify in der Anfangsphase an die ganzen Rechte gekommen ist, haben sie den Major-Labels Anteile verkauft. Entsprechend haben einzelne Labels da ein sehr großes Mitbestimmungsrecht. Da wurde dann natürlich auch viel Druck aufgebaut, dass für Wortproduktionen keine Werbung mehr geschaltet werden durfte. Letztlich ist es ja so: es wird alles in einen Topf geworfen und dann wird nach Popularität verteilt, wie oft welcher Track gehört wurde. Es waren dann einige große und bedeutende Künstler, die da ihre Felle ziemlich schnell davonschwimmen sahen.
Ich kann das schon teilweise verstehen: Du wirst da track-basiert bezahlt, wenn auf einem Musikalbum nur acht Tracks drauf sind, verdient man natürlich weniger als Titania Medien mit einem Hörspiel von 40 Tracks – wobei wir da natürlich nur von Centbeträgen reden. Für den Musikkünstler ist es schon nachvollziehbar, für uns ist es ist natürlich doof – muss man ganz ehrlich sagen. (lacht) Auch Apple Music musste übrigens nun alle Hörbücher rausschmeißen. Wir haben Glück, aber es gibt auch Kollegen mit Titeln, die laufen zwei Jahre und dann kommt da nichts mehr. Hörspiele des Gruselkabinetts und auch von der Sherlock Holmes-Reihe werden noch fleißig ab Folge eins gehört, das kommt uns natürlich zugute. Wenn wir darauf angewiesen wären, Neuproduktionen innerhalb kurzer Zeit zu refinanzieren, wäre das nur über den Stream allein ziemlich schwierig.
Das wird über kurz oder lang noch einmal zu einer ziemlich heftigen „Marktbereinigung“ führen – das klingt immer so negativ, als ob das irgendein Dreck wäre, was dann hintenüberfallt, das meine ich natürlich überhaupt nicht. Da werden sicherlich auch sehr schöne Sachen wegfallen, weil sie leider unwirtschaftlich sind.
Oder sie werden erst gar nicht produziert, weil sich das mit diesem Vergütungsmodell nicht refinanziert.
Es wird so sein, wie es meistens ist: die Großen werden übrigbleiben.
Eure Coverbilder werden ja in Zukunft nicht mehr nur von Ertugrul Edirne illustriert. Es sind jetzt glaube ich zwei neue Künstler, die ihr ins Boot geholt habt. Wie kam es denn dazu?
Es ist einfach viel, was wir machen. Herr Edirne hat ja noch die Grimms Märchen obendrauf bekommen, zusätzlich zu dem, was sowieso schon in seinen Händen lag. Wir arbeiten weiterhin sehr gerne mit ihm zusammen und da ist auch noch jede Menge in der Pipeline. Aber wir haben natürlich auch bei dem Vertrieb Abgabetermine für den Katalog. Da mussten wir das Illustratoren-Team ein wenig aufstocken, dann ist es für alle ein bisschen weniger Stress. Und das funktioniert eigentlich sehr gut.
War es denn schwierig, Leute zu finden, die einen ähnlichen Stil haben?
Ja, sehr schwierig sogar. Leider ist diese Art der Plakat-Kunst eine aussterbende Gattung, so möchte ich es mal nennen. Das ist ja wie die Filmplakate der 30er, 40er, 50er-Jahren, das macht kaum noch jemand.
Es gibt viele tolle neue Techniken, unsere neuen Illustratoren arbeiten auch ganz anders um zum Ziel zu kommen.
Wie habt ihr die beiden Herren aufgetan?
Johannes Belach hast du gefunden, Stephan.
Ja! Der hat sich bei Instagram den Spaß gemacht, ein Euro große Illustrationen zu veröffentlichen. Und da hat er u.a. „Das Schloss des weißen Lindwurms“ gemalt und uns getaggt. Das habe ich mitbekommen und mir sein Profil angeschaut, und das sah sehr interessant und schön aus. Er arbeitet sehr handwerklich, aber auch viel mit dem Computer. Und da uns das so gut gefallen hat, haben wir einfach mal angefragt und haben ihn drei Illustrationen zur Probe machen lassen. Mit dem Ergebnis waren wir sehr glücklich. Mit Ralf Nievelstein war es ähnlich erfreulich. Natürlich muss man sich am Anfang erst einmal an die Materie herantasten und sich kennenlernen.
Wir haben im Nachlass von Dagmar von Kurmin eine dreiteilige Geschichte für die Titania Specials gefunden, das ist aus dem Eichhörnchen Putzi-Universum, da gibt es ja ganz verschiedene Tiere. In der Geschichte geht es um das Marienkäferchen Bismy, das tauchte schon einmal kurz in der Putzi-Version von Europa auf, auch damals von Dagmar von Kurmin höchstpersönlich gesprochen. Und da hat Johannes Belach mittlerweile auch drei wunderschöne Cover gestaltet.
Ihr habt in letzter Zeit auch wieder einige neue Stimmen in eure Hörspiele eingebaut. Werden wir einige von ihnen nun häufiger zu hören bekommen? Und habt ihr noch jemanden auf eurer Liste, den wir bald zu hören bekommen? Vielleicht auch einen etwas bekannteren Namen?
Alles ja. (lacht) Wir haben über den traurigen Tag des Todes von Dagmar von Kurmin den Kontakt zu Bernd Kreibich, eine unserer liebsten Stimmen unserer Kindheit als Papagei Herr Stumpfenstiel in „Die Hexe Schrumpeldei“ und in zahllosen Märchen von Europa, die größtenteils Heikedine Körting verantwortet hat. Zwischen Bernd und mir besteht eine Art Seelenverwandtschaft, das muss ich so sagen. Wir haben uns vom ersten Telefonat an so unfassbar gemocht und gut verstanden. So etwas ist eine ganz tolle Sache für Aufnahmen, wenn man sich persönlich so nahekommt. Mit Bernd arbeite ich unglaublich gerne, und er hat ja wirklich sehr viele Jahre überhaupt keine Hörspiele gemacht und so viele Jahrzehnte nicht mehr als Schauspieler gearbeitet. Dagmar von Kurmin hatte ihm schon länger von uns erzählt, er hat dann auch darüber nachgedacht, ob er das denn überhaupt nochmal machen würde mit dem Hörspiel-Sprechen – das hat er glücklicherweise letztlich mit einem klaren JA! beantwortet. Aber jetzt ist sein Rentnerdasein auch erst einmal wieder vorbei. (lacht) Er freut sich immer wahnsinnig über jede neue Herausforderung, ich gebe ihm immer ganz unterschiedliche Dinge zum Sprechen und bin immer wieder fasziniert und begeistert, was er für großartige Vor-Arbeiten er bei sich zu Hause macht und was er mir dann im Studio präsentiert. Er macht sich unglaublich viele und schöne Gedanken dazu und ist voll des Lobes, wenn er dann die CD geschickt bekommt und stets ganz fasziniert davon, was dabei herausgekommen ist. Es ist wirklich eine wunderbare Fügung, dass wir uns gefunden haben. Es hat dieses Loch, was da entstanden ist, dadurch dass die Dagi nicht mehr da ist, ein kleines bisschen gefüllt. Er war ihr ja auch sehr nahe und wir können uns über Dagi und ihre Mami (die Dialogbuch-Autorin Mara Schroeder-von Kurmin) austauschen, die ich ja leider nicht kennenlernen konnte, aber deren Werk ich sehr gut kenne und deren Werk wir ja auch ein wenig weitertragen – „Das verlorene Sternchen“, das Kurzhörspiel, das wir letztes Jahr zu Weihnachten produziert haben, das war ja auch von Dagis Mami. Dieses Jahr kommt auch wieder eine Weihnachtsgeschichte aus der Feder von Mara Schroeder-von Kurmin bei uns heraus, eine sehr schöne rührende Geschichte. Da spricht Regine Lamster die Mutter, die ist uns ja alle auch aus den guten alten Europa-Zeiten vertraut ist, wie Bernd Kreibich. In „Onkel Toms Hütte“ waren sie ja beide mit von der Partie. Regine Lamster ist natürlich auch die Ur-Hanni und spricht auch nach wie vor bei „Hanni und Nanni“. Stephan mag ihre Stimme sehr. Da haben wir den Kontakt hergestellt und uns auch gleich glänzend verstanden. Wir haben letzte Woche noch sehr lange und sehr schön miteinander telefoniert. Wir haben schon diverse Märchen mit ihr aufgenommen, was für beide Seiten eine sehr erfreuliche Begegnung war. Das ist toll, dass sie jetzt mit dabei ist, auch in tragenden und in sehr unterschiedlichen Rollen. Sie hatte sehr viel Freude daran, bei uns jetzt auch mal „die Böse“ sein zu dürfen, da darf man sich schon sehr freuen. Die ersten Hörspiele mit ihr (Grimms Märchen 6, Weihnachts-Special „Der Weihnachtsengel“) kommen jetzt schon im Dezember heraus.
Ihr habt eure Homepage überarbeitet, da gab es nicht nur positives Feedback – sie wäre zu langsam und zu unübersichtlich. Es gab auch sehr viel und sehr detailreiches Feedback. Hat es euch überrascht, dass es so sehr zum Thema wurde?
Uns überrascht gar nichts mehr. (lacht)
Wir wissen, dass Veränderungen für viele Menschen sehr schwierig sind.
Und wir haben da auch Verständnis für, aber bei gewissen Dingen muss man nun einmal mit der Zeit gehen. Unter anderem eben auch bei technischen Dingen. Die neue Homepage war notwendig, weil sich das Surf-Verhalten geändert hat. Über einen ziemlich langen Zeitraum ist es deutlich geworden, dass der Anteil derjenigen, die vom Computer aus auf die Homepage zugreifen, immer geringer geworden ist. Dafür ist der Anteil der Leute, die uns vom Handy aus an-surfen, unglaublich riesig. Und wir möchten natürlich, dass die Kunden, die die Hörspiele dann auch über das Handy hören, möglichst schnell an diese Hörspiele kommen, mit nur wenigen Klicks im besten Fall – denn nur so verdienen wir noch Geld um weiter produzieren zu können. Insofern war es wichtig, dass man eine Homepage hat, die vor allem für die Nutzung auf dem Smartphone optimiert wurde. Und da hat Stephan sich mit dem neuen Webmaster sehr, sehr viele Gedanken gemacht und sich viel Zeit genommen und alles Mögliche ausprobiert. Letztlich ist es immer schade, wenn neben vielem Lob auch viel Geschimpfe dabei herauskommt, aber das kennen wir ja seit fast 20 Jahren. Es waren ja auch durchaus gute Hinweise dabei, es ist ja dann auch noch einmal an der Schnelligkeit und an der Lesbarkeit gearbeitet worden. Das ist ja alles nicht in Stein gemeißelt und man muss schauen, wie die Hörspiel-Welt darauf reagiert. Viele haben die Überarbeitung sehr begrüßt und viele haben sie in die tiefste Hölle verdammt. Aber letztlich ist es wie bei den Hörspielen: das ist jetzt unser Angebot – oder wie Dagmar von Kurmin sagen würde: „Besser kann ich es wirklich nicht“ – und entweder liebt es oder lasst es.
Eure neueste Serie ist ja „Grimms Märchen“. Mittlerweile sind bereits sechs Episoden erschienen. Wie zufrieden seid ihr denn mit dem Ergebnis der Aufnahmen?
Mit dem Ergebnis der Aufnahmen könnte ich glücklicher nicht sein. Der Zuspruch ist ja überwiegend positiv, ich habe jetzt noch nicht gehört, dass es irgendjemandem nicht gefallen hätte. Ich bekomme unglaubliche Begeisterungsstürme von den Schauspielern zu hören, wenn diese die fertige Produktion bekommen. Ich denke, es gibt ja zwei Zielgruppen: das sind zum einen etwas nostalgische Erwachsene und zum anderen Kinder. Und gerade von der Kinderzielgruppe bekommen wir ein so unfassbar positives Feedback, was mich auch noch einmal darin bestärkt hat, dass das einfach Klassiker sind. Wenn man die klassisch und gut und echt präsentiert und die Hörer – seien sie klein oder groß – in die Geschichte hineingesogen werden, was ja immer mein Anspruch ist, funktioniert das heute sehr gut bei Kindern, die ansonsten begeistert sind von irgendwelchen Ninja-Kriegern, Hulks oder fliegenden Hunden, die die Welt retten. Die finden diese vermeintlich altbackenen Geschichten immer noch total spannend und faszinierend. Das hat mich voll in dem bestätigt, was ich immer schon gedacht habe, und ich bin nach wie vor der felsenfesten Meinung, dass wir auch genau das richtige Produktionsteam dafür sind, um diese Märchen jetzt nochmal auf der technischen Höhe der Zeit umzusetzen. Aktuell ist es einfach so, dass wir hier eine Schauspielerriege am Start haben, die ja sowieso kommt, um Sherlock Holmes oder Gruselkabinett-Hörspiele aufzunehmen, und die einfach perfekt für die Erledigung dieser Aufgaben ist. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie die Schauspieler sich immer über diese Märchenrollen freuen. Was da nochmal an Spielfreude obendrauf kommt! Die sind einfach zutiefst gerührt und geben sich so viel Mühe, diese Charaktere zum Leben zu erwecken, die sie ja auch schon ihr ganzes Leben lang kennen. Ich finde das immer ganz toll bei den Aufnahmen und es ist auch immer eine wahnsinnige Energie im Raum, da weiß ich im Grunde schon, dass es gut wird. Peter Weis ist zum Beispiel so ein unglaublicher Gewinn als Erzähler! Er ist so unglaublich belesen und kennt sich in der Literatur sehr gut aus. Er hat diese Märchen seinen Töchtern vorgelesen und bereitet sich stets so akribisch vor. Wenn ich mal eine Formulierung etwas geglättet habe, was vielleicht nicht immer so geglückt ist, hat Peter Weis sofort nachgeschlagen, wie es eigentlich bei den Brüdern Grimm steht und sagt dann: „Nimm mir das nicht übel, aber ich finde das im Original doch schöner. Könntest du nicht doch nochmal drüber nachdenken, ob wir das an der Stelle nicht im Original belassen können?“ Meistens tun wir das dann natürlich! (lacht) Peter ist wie so viele andere Schauspieler eine Koryphäe, auf die höre ich dann auch, die werden ja auch gerade wegen dieser große Erfahrung so gerne von uns engagiert Das ist einfach schön und es macht hinterher so viel Spaß, das alles zusammen zu schneiden, mit Musik zu versehen und den Märchenwald mit Geräuschen aufzubauen. Für Rotkäppchen war es mir beispielsweise ganz wichtig, dass es einen Kuckuck im Wald gibt. Den haben wir erstaunlicherweise bisher noch nicht in unseren Hörspielen gehabt. Der wurde dafür neu angeschafft. Ich habe gesagt, ich brauche diesen Kuckuck, es muss ihn geben, wenn das Rotkäppchen im Wald Blumen pflückt. Der Wunsch wurde dann natürlich auch umgesetzt.
(lacht) Warum war dir der Kuckuck so wichtig?
Ich finde, das muss so sein. Meine liebste Rotkäppchen-Version aus meiner Kindheit ist die von der BASF mit Dagmar von Kurmin als Rotkäppchen. Da gibt es eine Stelle, in der sie sich so über den Kuckuck freut. Sie geht da in den Wald und singt und freut sich an den verschiedenen Vögelchen und interagiert ein bisschen mit denen. Da gibt es dann auch einen Kuckuck, und das ist bei mir ganz tief drin. Rotkäppchen braucht einen Kuckuck im Wald! Aber jetzt ist er ja da und taucht bestimmt jetzt öfter bei uns wieder auf.
Marlene, du hast ja jetzt deine erste Hauptrolle gesprochen. Vorher ja schon als Geißlein in der Uhr versteckt. Wie war es, das Rotkäppchen zu sprechen?
Gut. Papi hat mir den Text immer vorgesagt und ich habe es dann nachgesprochen.
Und hast du denn auch schon die nächste Rolle ergattert?
Ja, die Gretel.
Das haben wir alles noch schnell aufgenommen, bevor die ganzen Milch-Schneude-Zähne ausgefallen sind.
Für das Sprechen vor dem Mikrofon ist das tatsächlich schwierig. Da müssen wir warten, bis die bleibenden Zähne da sind – dann sind auch wieder die s-Laute so, wie sie sollen. Aber es ist erstaunlich, wir hatten für eine bereits mit Marlene aufgenommene Folge eine Nachaufnahme von einem Satz und die musste sie ohne die Schneidezähne machen. Und das war ein Satz mit unfassbar vielen S und Z. Ich war sehr beeindruckt, wie sauber Marlene das trotzdem sprechen konnte. (lacht)
Für was waren die Nachaufnahmen.
(lacht) Für das Rotkäppchen. Ich kann das ja verraten, es ist der Schlusssatz, den haben wir nochmal neu gemacht. Und der war dann auch richtig gut.
Hast du das Rotkäppchen denn auch schon selber gehört?
Noch nicht.
Da hat sich jetzt die Hexe Schrumpeldei-Komplettbox, die mir im Keller bei den Aufräumarbeiten in die Hände gefallen ist, dazwischengeschoben. Auf Autofahrten hatte Marlene diese Hörspiele schon digital gehört und für sehr gut befunden. Das freut mich immer, denn es sind auch die liebsten Hörspiele meiner Kindheit, das muss ich schon sagen. Hexe Schrumpeldei und Hui Buh sind neben dem Pumuckl und den ganzen Märchenhörspielen von Europa das, was ich als Kind am liebsten gehört habe. Und es funktioniert immer noch! Marlene ist ein ganz großer Fan von Herrn Stumpfenstiel. Das ist immer sehr schön, wenn Bernd Kreibich anruft und die zwei miteinander sprechen. Er lässt auch immer viele Grüße von Herrn Stumpfelstiel ausrichten und freut sich sehr. Er hat diesen wunderbaren Satz neulich gesagt: „Ich bin natürlich auch so ein Schauspieler, der ursprünglich beabsichtigt hatte, als Hamlet berühmt zu werden. Aber wenn ich mir Marlenes leuchtende Augen vorstelle, so ist es auch ganz schön, als Herr Stumpfelstiel einen gewissen Bekanntheitsgrad zu besitzen.“
Lohnen sich die Märchen denn auch finanziell für euch?
Wir würden uns über mehr Hörer freuen, auch wenn es keine große Überraschung ist, weil Kindertitel es immer recht schwer haben. Da müssen wir mal schauen, wie das mit einer gesteigerten Folgenzahl dann letztlich sein wird, manchmal macht es ja am Ende auch die „Masse“. Wir sind ja fleißig gewesen, zum Jahresende sind es dann schon stolze sechs Folgen, nächstes Jahr kommen wie angekündigt vier dazu. Wir haben für die dunkle Jahreszeit jetzt noch einmal eine Agentur darangesetzt, die noch viel Pressearbeit für diese Hörspielreihe machen wird. Das war auch eine sehr schöne Erfahrung, denn das ist eine Agentur, die sehr viel Marketing für Kinderhörprodukte macht und sich entsprechend auskennt. Was wir da als Rückmeldung bekommen haben, als wir die ersten Titel vorgestellt haben, war überwältigend. Es wurden bei den Pressetexten genau die Dinge alle erwähnt, die mir bei der Produktion so wichtig waren. Es hat mir unglaublich gefallen, dass es sich offensichtlich mitteilt, was man ästhetisch vorhatte. Dieses Lob hat mich sehr gefreut. Und es freut mich auch immer wieder, wenn das Telefon läutet und eine unserer geliebten Schauspieler-Stimme anruft, einen Beleg abgehört hat und nicht nur die eigene Leistung gut fand, sondern das Ganze. Es ist ja eine Ensemble-Arbeit – und das Ensemble bei den Grimms Märchen ist sehr groß! Aber die Reihe muss sich einfach noch etablieren. Pop.de hat sich ja freundlicherweise dazu bereit erklärt, die CD-Version zu betreuen. Nachdem die Bestellzahlen in den Lübbe-Vermarktungsmöglichkeiten so gering waren, hätte sich schon die Erstpressung eigentlich nicht gelohnt. Dann gab es in den sozialen Medien recht viel Protest dagegen, dass es die Märchen beinahe nur digital gegeben hätte – und wir wollten sie ja eigentlich auch auf CD haben, denn das sieht im Regal natürlich immer schöner aus. Man kann es in die Hand nehmen und ein gedrucktes Coverbild ist natürlich gedruckt auch eine schöne Sache. Das war sehr nett von den Jungs von Pop.de, dass die sich da bereit erklärt haben.
Seid ihr auf sie zugegangen oder ist Pop.de zu euch gekommen?
Sie sind auf uns zugekommen.
Die lesen ja fleißig mit bei uns in den sozialen Medien. (lacht) Das ist ja schon ein ganz alter Geschäftskontakt, wir kennen uns von den Buchmessen, als wir die selber noch gemacht haben. Insofern war das Hilfeangebot sehr nett.
Läuft die CD denn jetzt besser, als ihr es euch gedacht habt?
Leider nein. Ich würde es mir deutlich besser wünschen – und ich glaube, Pop.de auch. Das kann man schon so sagen. Ich glaube, die CD-Player verschwinden auch langsam aus den Kinderzimmern und ich hätte gedacht, dass wir da noch etwas mehr Nachspielzeit hätten. Und es gibt für Kinder natürlich auch ein Riesen-Angebot. Aber wir sind sehr überzeugt von der Qualität unserer Grimms Märchen. Die Folgen sind momentan sehr lang, das hat damit zu tun, dass sie nach dem Moment geschrieben wurden, an dem klar war, dass sie nicht auf CD herauskommen. Ich hatte da ja keine Notwendigkeit ein Format einzuhalten, was auf jeden Fall auf eine CD passt. Bis jetzt geht es ja auch nur mit Überlänge, das war ja schon alles aufgenommen und ich kann dann nicht nachträglich noch etwas runterkürzen, weil dann die Anschlüsse nicht mehr passen. Bei Folge sechs hatte ich schon Sorge, dass es überhaupt auf die Überlänge-CD draufpasst. Hat dann aber geklappt! Ab der Folge sieben wusste ich dann, dass es auch auf CD kommt. Ab da wird es zukünftig so sein, dass es mit einem etwas längeren Märchen anfängt, dann kommt ein kürzeres Zwischenspiel – so etwas wie „Die Sterntaler“, „Der süße Brei“ oder „Der Hase und der Igel“, die innerhalb von zehn Minuten oder einer Viertelstunde erzählt sind. Und dann kommt nochmal etwas, was ein bisschen länger ist. Somit wird es ab der Staffel, die im nächsten Jahr kommt, wieder etwas weniger anstrengend in der Produktion für unseren Tontechniker Carsten Bunse und mich sein.
Ihr setzt die Märchen ja sehr originalgetreu um, auch mit den Grausamkeiten, die darin vorkommen: Die glühenden Schuhe, die Hexe wird wahrscheinlich auch offiziell verbrannt…
Aber sowas von! Und sie schreit und quält sich im Ofen...
Jetzt bewegen wir uns ja in einer Gesellschaft, wo das nicht mehr ganz so positiv aufgefasst wird. Gab es da schon negative Rückmeldungen, die das nicht so toll fanden?
Diese Diskussion ist ja seit den 68er Jahren nicht mehr verstummt, ob die Grimms Märchen zu grausam sind, ob das Kindern irgendetwas ausmacht. Die Initialzündung für mich als Autor zu arbeiten kam daher, dass wir in der Volksbühne Bergisch Neukirchen, wo ich damals in den Weihnachtsmärchen mitgewirkt habe, eine Hänsel und Gretel-Version zur Aufführung brachten, in der die Hexe eben nicht verbrannt wurde, sondern in einem Zauberbackofen in eine gute Frau verwandelt wurde. Und das fand ich so schrecklich, weil das eine meiner liebsten Szenen als Kind war! Es ist ja auch eine Hexe, die darauf aus ist, Kinder zu fangen, zu mästen, zu schlachten und aufzufressen. In einer kindlichen Weltsicht hat so jemand das Recht zu Leben auch irgendwann verwirkt, da ist das eine durchaus logische Konsequenz. Das hat mir in der Bühnenversion total gefehlt. Das war der Punkt, an dem ich angefangen habe, selber Märchendramatisierungen für die Bühne zu schreiben. Der ganze Rest mit den Hörspielen steht da natürlich in einer Linie. Bei Marlene konnte ich auch wieder beobachten, dass das stimmt: Kinder brauchen diese Grausamkeit der Märchen, sonst ist das Problem für sie am Ende nicht gelöst. Das ist nicht in Ordnung, wenn der Böse einfach weitermachen darf, wie er es immer gemacht hat. Die böse Stiefmutter von Schneewittchen muss sich am Ende in den glühenden Pantoffeln zu Tode tanzen und dann ist das erledigt. Dann ist ein positives Leben für die Netten möglich. Als wir am Anfang gesagt haben, dass es kindgerechte Bearbeitungen sind, kam in den sozialen Medien ja auch sofort ganz viel Kritik, da hieß es auch: Ach, das wird ja furchtbar weichgespült, das lassen die alles weg. Ich glaube, mittlerweile hat man gemerkt, dass das wirklich nicht der Fall ist, sondern dass wir schon sehr nahe am Original sind. Es gibt übrigens Märchen, die kann ich in dieser Reihe überhaupt gar nicht bringen, weil die einfach zu brutal sind. Zum Beispiel eine Blaubart-Version von den Brüdern Grimm, die später nicht mehr in dem Kanon vorhanden war, sondern nur in früheren Auflagen. „Das Mädchen ohne Hände“, „Das Mordschloss“, „Das Märchen vom Machandelboom“. Es gibt ja weit über zweihundert Märchen. Ich habe mich nochmal komplett durchgelesen und für die Arbeit auch für mich sortiert, weil ich ja auch wissen musste, was ein bisschen kürzer ist, aber auch dass es abwechslungsreich genug ist. Wir werden demnächst im Gruselkabinett einen Schuber mit zwei CDs machen, wo diese extrem grausamen Märchen erzählt werden. Die Produktion wird „Schauermärchen“ heißen und das ist wirklich heftiges Zeug! Da werden die Kinder wirklich gemästet und gegessen und all sowas. Das kann man auch nicht weglassen, weil dann die Geschichte nicht funktioniert. Da spritzt nicht nur mal ein bisschen Blut auf ein Spitzentaschentuch, da geht es richtig zur Sache. Und da freue ich mich schon sehr drauf, das mit allem, was uns im Gruselkabinett zur Verfügung steht, machen zu können. (lacht) Und ich glaube, die Schauspieler werden sich auch sehr freuen, das spielen zu dürfen!
Die gute Reinhilt Schneider hat ja jetzt seit Jahrzehnten die Möglichkeit, wieder in Märchen mitzusprechen, was sie ja sehr früh schon getan hat. Auch da gab es ja durchaus ein paar kritische Stimmen, dass sie zu alt sei, dass man ihr das nicht mehr abnehme, ob das denn sein müsse. War sie selbst auch etwas zögerlich, noch einmal das Dornröschen oder das Schneewittchen zu sprechen. Und wie habt ihr sie bei den Aufnahmen erlebt?
Sie war überhaupt nicht zögerlich, sondern hat sich sehr über die Aufgabe gefreut! Wir stehen uns ähnlich nahe wie Bernd und ich uns nahe stehen, da besteht eine Seelenverwandtschaft. Wir arbeiten daher auch sehr gerne miteinander. Sie fühlt sich unter meiner Regie immer sehr gut aufgehoben. Und sie weiß, dass sie nach wie vor eine sehr jung klingende Stimme hat und damit bestens umzugehen weiß. Der Vorteil ist, dass das ihre natürliche Stimme ist, die muss sie gar nicht verstellen. Es gibt Schauspieler, die hören sich privat ganz anders an und holen dann ihre professionelle Mikrofon-Stimme heraus. Aber Reinhilt Schneider gehört nicht dazu, das ist ihre natürliche Stimme. Sie hat in dem Fall das Glück gehabt, dass die Stimme nicht gealtert ist. Die Stimme von Dagmar von Kurmin, die früher das Rotkäppchen gesprochen hat, ist extrem gealtert, ist interessant und knarzig geworden, das ist bei Reinhilt überhaupt nicht passiert. Insofern ist es jetzt für mich als Regisseur die sehr glückliche Fügung, dass sie diese jung klingende Stimme hat, aber dass sie auch diese immense Erfahrung hat – in der Arbeit und auch in dieser Art von Rollen, weil sie schon so viele Prinzessinnen gestaltet hat. Reinhilt Schneider freut sich immer wahninnig über die Dialoge, lobt immer sehr, wie gut sich das spielen lässt – und das hört man ja auch bei ihr! Das ist immer wie ein Kindergeburtstag, wenn wir zusammen im Studio sind. Und es geht sehr schnell, weil wir uns sehr nahestehen und genau wissen, was wir voneinander brauchen. Die Aufnahme läuft, wir fangen an zu spielen und Marc Ziebarth, der Tontechniker in Hamburg, sitzt völlig fasziniert da und bekommt von uns fast schon ein pressungsreifes Märchen vorgespielt. (lacht)
In welchen Rollen werden wir sie in nächster Zeit noch hören?
Also, Reinhilt Schneider wird auf jeder Grimms Märchen-CD mindestens einmal mit von der Partie sein, weil das für mich absolut wichtig ist – und für Marlene übrigens auch. Sie ist ihre erklärte Lieblings-Sprecherin und insofern ist sie wirklich gnadenlos auf jeder Folge mit dabei. (lacht) Sie wird in „Die sieben Raben“ die Schwester sein, die die Brüder erlöst, das ist auf der Hänsel und Gretel-CD mit drauf. Dann ist sie das Aschenputtel, wir haben „Die Gänsemagd“ aufgenommen mit Regine Lamster als böse Kammerzofe – ein sehr interessantes Duo, die zwei! In „Hans mein Igel“ ist sie mal wieder eine böse Prinzessin, das war auch sehr schön. Ich fand es auch bei „Frau Holle“ sehr interessant, sie als Pechmarie zu besetzen, das sind ja auch die Töne, die sie beherrscht. Ich habe mir bei der Sichtung der Märchen auch immer gleich einen Vermerk gemacht, wo ich dachte: das ist eine gute Rolle für unsere Reinhilt! (lacht)
Ich war von „Vom Fischer und seiner Frau“ unglaublich angetan, das ist wirklich sehr nachhaltig in Erinnerung geblieben. Vor allem wegen Sabina Trooger als Ilsebill, die sich in eine immer heftigere Umsetzung gesteigert hat. War euch vorher klar, dass aus dem eher unscheinbaren Märchen etwas so Ausdrucksstarkes entstehen würde?
Ja, auf jeden Fall! Bei dem Märchen bin ich mit einer Märchen-LP mit Margot Trooger in dieser Rolle aufgewachsen, der Mutter von Sabina Trooger, die wir alle aus Pippi Langstrumpf als Fräulein Prysselius kennen. In der einzig wahren „Die kleine Hexe“-Hörspielversion spricht sie die Wetterhexe Muhme Rumpumpel. In der Produktion ist Sabina übrigens das Blumenmädchen, deren Papierblumen verhext wurden, dass sie duften! Sie wusste das selbst gar nicht mehr. Sie erzählte mir, dass ihre Mutter sie wohl zu den Aufnahmen mitgenommen hat und meinte, dass sie unglaublich jung gewesen sein muss. Ich habe ihr das mal geschickt, das hat sie dann auch mit großer Rührung gehört. Sie konnte sich immer noch nicht daran erinnern, hat sich aber sehr gefreut, es noch einmal gehört zu haben. (lacht) Bei mir war aber von vornherein klar, wenn ich die Ilsebill besetze, muss das die Sabina sein! Einfach über diese Familienzusammengehörigkeit. Sie hat das so unglaublich gut geliefert, was ich da vorhatte, das ist einfach toll. Sie ist eine richtige Vollblut-Schauspielerin, wie ich sie für die Grimms Märchen einfach brauche. Reinhilt Schneider hat nach den letzten Aufnahmen übrigens etwas ganz Tolles gesagt, nachdem ich sie sehr gelobt habe: „Hach ja, das sind auch einfach so tolle Vorlagen, da muss man sich dann als Schauspieler einfach reinschmeißen und es machen.“ Aber das ist eben das Besondere! Da springt ja nicht jeder drüber, über diese Hürde und „schmeißt sich da rein“. Was das betrifft, bin ich glücklich, dass wir für diese großen Besetzungen so viele hervorragende Schauspieler kennen, denen wir solche oft tückischen Aufgaben anvertrauen können. Ich fand den Michael Pan auch so großartig in der Rolle des Fischers, und der Bernd Kreibich hat den Butt so toll gemacht. Und was der Peter Weis da immer für ein Feuerwerk abfackelt, der legt ja jede neue Wohnstatt von den Beiden in seine Stimme. Man hört wie die Schlösser größer werden, er gestaltet das so intelligent durch.
Das ist ja eigentlich ein total einfaches Märchen, dass ich erst dachte: na, ob man das überhaupt nochmal braucht. Weil es ja eigentlich total simpel gestrickt ist. Aber man muss sich einfach trauen, es so umzusetzen, wie ihr es gemacht habt.
Und es hat so viel Spaß gemacht, die Musik dafür auszusuchen! Dass diese höfische Musik immer pompöser wurde und dass ich hinterher das „Halleluja“ von Händel für die Papst-Geschichte noch einsetzen konnte, als sie dann sagte: (flüstert) „Jetzt bin ich Papst!“ – da läuft es mir immer noch kalt den Rücken herunter.
Kommt Sabina Trooger denn in den künftigen Hörspielen öfter vor?
Das will ich wohl hoffen! Es fällt in diesem Interview etwas häufig, aber es ist für die Arbeit einfach immens wichtig, dass man sich bei der Arbeit nahegekommen ist. Da entstehen ja nicht immer Freundschaften fürs Leben auf einem Niveau wie bei Dagmar von Kurmin oder Bernd Kreibich, aber es ist wichtig, dass man sich nahegekommen ist. Und das war mit Sabine Trooger glaube ich die dritte Zusammenarbeit, und man muss noch nicht einmal sonderlich spirituell veranlagt sein, wenn man sich begegnet und das Gefühl hat, dass man sich irgendwoher schon kennt, was das auch immer ist. Und das ist mit Sabina Trooger absolut so. Sie freut sich immer so wahnsinnig, wenn ich anrufe und etwas Neues ansteht. In dieser Marienkäfer-Geschichte ist sie auch in einer Hühnerrolle drin – wunderbar! (lacht) Sie ist eine von unseren allerbeststen „Pferden“ im Stall, würde ich sagen.
Es ist so schön zu erleben, wie du für die Märchen und für die Sprecher brennst.
Ach, weißt du, das ist ja alles Lebenszeit. Ich bin jetzt 47 Jahre alt, da ist man schon gut über die Hälfte drüber. Tatsächlich entdecke ich an mir, dass es bei den Aufnahmen viel schöner ist, wenn da auf der anderen Seite ein „Herzensmensch“ sitzt. Weil ich dann weiß, dass der total gerne kommt und nicht nur wegen des Geldes, sondern weil da Kunst entstehen soll. Die Arbeit ist leichter und befriedigender und das Ergebnis ist immer besser. Die Idee von Stephan war jetzt auch, dass wir noch einmal deutlich geguckt haben, mit wem wir denn eigentlich arbeiten möchten. Und wenn es Rollen zu besetzen gibt wird geguckt, mit welcher Person das so ist. Welche Person liefert genau das, was wir brauchen, aber auch, welche Person ist verfügbar, die man eigentlich permanent in den Arm nehmen möchte, weil man den Schauspieler auch als Mensch einfach so mag. Dieses Familiäre wird einfach immer wichtiger. Das Stamm-Ensemble ist ja nicht klein – da muss man ja nur mal eine Grimms Märchen-CD umdrehen, da stehen dann oft mal annähernd 40 hochkarätige Schauspieler drauf. Und es ist eben immer schön, mit diesem Ensemble zu arbeiten. Es geht schneller, einfacher, das Ergebnis ist toll und alle sind glücklich – und am Ende der Hörer ja auch! Insofern fand ich dann die Altersdiskussion um Reinhilt Schneider sehr unschön und auch, dass produzierende Kollegen sich da zu Wort gemeldet haben, die es ja eigentlich besser wissen müssten, dass man so etwas eigentlich nicht in der Öffentlichkeit breittritt. Letztlich muss die Leistung zählen, und dafür lege ich meine Hand ins Feuer: wer nicht weiß, wie alt Reinhilt Schneider ist, der hört es absolut nicht. Und solange das so ist, wird sie jede infrage kommende Prinzessinnen-Rolle sicherlich von mir bekommen. (lacht)
Das Vertrauen in die Märchen ist im Haus so groß, dass wir jetzt bereits 23 Folgen konzipiert haben, es 23 Illustrationen demnächst schon gibt – und da ist ja auch schon klar, was auf diesen Folgen für Märchen drauf sein werden. Und die vier Folgen für das nächste Jahr sind auch schon so gut wie komplett aufgenommen. Bis Folge zehn ist schon fast alles im Kasten, darüber hinaus ist auch schon klar, wie es weitergeht. Und das macht mich sehr glücklich.
Und wenn man dann von vier Folgen im Jahr spricht, ist es bei einem so großen Vorlauf ja schon auf Jahre abgesichert.
Ja, die Reihe tut uns allen hier so gut. Marlene hört sie so gerne zum Einschlafen, macht parallel ihre ersten Schritte als Kindersprecherin und das ist einfach ein sehr schönes Projekt für die ganze Familie.
Habt ihr denn Bedenken gehabt, sie als Hauptrolle zu besetzen, wie jetzt beim Rotkäppchen?
Nein, das ist ja gewachsen. Sie hat ja erstmal so ganz kleine Rollen gemacht. In „Der gewaltige Gott Pan“ war es nur ein Satz ganz am Ende, bei „Buhlemanns Haus“ waren dann mehrere Kinder zusammen. Dann haben wir letztes Jahr ja das Weihnachts-Special gemacht, „Das verlorene Sternchen“, das waren ja auch schon einige Sätze, die sie da gesprochen hat. Und so ist das dann immer ein bisschen größer geworden. Der Vorteil, mit Marlene zu arbeiten, ist, dass ich da nicht so ein vorgegebenes Zeitfenster habe. Das Studio ist ja hier im Haus, das können wir dann immer mal wieder kurze Aufnahmen machen, wenn da wechselseitig Lust zu besteht. Ich bin dann nicht genötigt, dass es innerhalb von zwei Stunden erledigt sein muss – man kann immer mal wieder eine halbe Stunde machen. Es muss ja auch so gestaltet sein, dass sie da Freude dran hat. Es soll ja nicht so ausarten, dass es stressig oder anstrengend ist. Ich bin aber immer sehr gerührt, wie toll sie das macht. Bei den meisten Aufnahmen, die jetzt veröffentlicht werden, war sie ja erst fünf. Sie bekommt es dann vorgesprochen und kann es dann nachsprechen, teilweise sind das ja auch lange und schwierige Sätze, mit Worten, die moderne Kinder nicht unbedingt benutzen würden. Sie hat aber ein gutes Ohr für Emotionen und für Betonungen – und manchmal nimmt sie die Betonung von mir dann an und macht sie aber noch ein bisschen besser. (lacht) Das finde ich super, dass das so ist! Es kommt dann bei ihr manchmal spontan einfach noch viel natürlicher. Und das ist ja der große Vorteil von Kindern, die ja keine ausgebildeten Schauspieler sind und auch nicht sein können. Es wird auch ganz oft in Hörspielforen oder Rezensionen auf Kinder in Hörspielen sehr eingedroschen. Es gibt da offensichtlich eine Handvoll Leute die auf Kinderstimmen in Hörspielen insgesamt allergisch reagieren, aber sie können nun mal nicht das liefern, was ein ausgebildeter Schauspieler liefert. Da kann man froh sein, wenn man Kinder hat, die ordentlich sprechen, die gut zu betonen wissen, die schön spielen. Das sind ganz oft Kinder von Schauspielern oder aus verwandten Berufsfeldern, die das anbieten können – aber es sind nun mal keine ausgebildeten Schauspieler. Da kann man nicht das erwarten, was jemand geboten hätte, der das drei oder vier Jahre professionell gelernt hat und Sprecherziehung hatte. Aber in den Grimms Märchen gibt es nun einmal diese Partien, die ich zwingend mit einem Kind besetzen möchte. Da gehört das Rotkäppchen dazu und Hänsel und Gretel müssen einfach Kinder sein. Das haben Dagmar von Kurmin und Konrad Halver damals ganz süß gemacht, das ist auch gut gelungen. Aber das ist auf einmal eine andere Ästhetik. Aber so etwas wie „Sterntaler“ oder „Der süße Brei“, das sind ja nur noch kleinere Rollen. Das größte hat Marlene ja mit Rotkäppchen und der Gretel jetzt schon hinter sich. Aus der Ästhetik, aus der ich es entwickle, fände ich es nicht gut, wenn es Reinhilt Schneider oder jemand vergleichbares es sprechen würde.
Ihr habt „Eine wahre Vampirgeschichte“ beim Gruselkabinett umgesetzt, da geht es doch wieder recht homoerotisch zu. Gab es da auch wieder heftige Reaktionen wie bei „Manor“ oder ist euch das erspart geblieben?
Nein, dieses mal gar nichts.
Aber komischerweise hat diese Folge nicht die Beachtung gefunden, die wir uns gewünscht hätten. Das ist so ein Running Gag bei uns im Produktionsteam, damit meine ich Stephan und mich, Carsten Bunse, unser Tontechniker von Anfang an, und Dr. Daniela Stöger. Wir waren uns alle vier sehr einig, dass das fantastisch geworden ist. Und das sind dann meistens die Folgen, die nicht gut laufen! Es ist leider auch in diesem Fall wieder so gewesen. (lacht) Wir haben bis jetzt noch nicht herausgefunden, warum das so ist. Stephan und Daniela waren bei den Aufnahmen nicht dabei und haben den Schnitt nicht gehört, sie hören die Mischung so, wie ihr sie auch hört und haben dann noch 24 Stunden Zeit, um Wünsche zu äußern, die Carsten und ich dann erfüllen oder nicht erfüllen. Wir beide sind da ein bisschen mehr mit drin und waren total begeistert, wie toll das gesprochen war, wie toll der Bogen der Geschichte war, wie gelungen das musikalisch war. Daniela und Stephan haben sich dann genauso geäußert, völlige Euphorie – und da haben wir schon gedacht: Das wird nichts. (lacht) Und leider ist es auch so gewesen, dass es ein bisschen unterging.
„Das Gespensterschiff“ ist ja ein Klassiker von Europa. Ihr habt das jetzt auch umgesetzt. Wie war da eure Herangehensweise. Habt ich geahnt, dass es mutig sein würde, davon eine neue Produktion zu präsentieren?
Tatsächlich ist das eine der wenigen Europa-Produktionen, die ich als Kind nicht besessen habe. Ich war schon Student, als ich dieses Hörspiel kennengelernt habe. Ich habe die Version jetzt nochmal gehört, bevor wir es umgesetzt haben und dabei sofort festgestellt, dass sich beide Produktionen sehr unterscheiden werden, weil ich wie immer sehr stark auf das Ursprungs-Werk zurückgehe. Die Version von Heikedine Körting ist ja schon ein wenig freier. Insofern habe ich eigentlich damit gerechnet, dass wir dabei rüde von manchen Hörern niedergeknüppelt werden, was dann tatsächlich ja nicht passiert ist.
Das haben sich bei Spotify ziemlich schnell 25.000 User angehört, das ist der absolute Burner gewesen!
Und ich beobachte das ja eher wenig, aber ich glaube, es gab auch sehr wenig negative Kritik. Bernd Kreibich, der ja in der Europa-Version der Achmed war und jetzt bei uns der alte Diener Ibrahim, konnte sich nicht mehr daran erinnern, dort mitgewirkt zu haben, er hat sich aber sehr gefreut, das noch einmal hören zu können. Dass er in beiden Versionen in tragenden Rollen dabei ist, ist natürlich sehr schön. Tatsächlich ist dieses Projekt auch dadurch entstanden, dass wir Bernd Kreibich gefunden haben. Das war der Moment, wo ich gedacht habe: ach, das wäre doch schön, wenn man von dem größten „Ding“, was er neben dem Stumpfelstiel bei Europa „gedreht hat“, eine neue Version macht, er aber jetzt den Diener spielt! Der hat ja auch eine sehr große und wichtige Rolle – und Bernd Kreibich hat es wieder einmal so toll gespielt. Nach den Aufnahmen hat er dann auch gesagt, dass er nun vollständig verstanden habe, was ich immer gerne möchte. Wenn ich im Textbuch stehen habe: „Atmer“, dass man eben dieses Stöhnen hört, wenn er am Seil hochklettert oder in den Keller runtergeht. Ich möchte eben, dass da bei uns nicht nur Geräusche an diesen Stellen sind, sondern dass die Schauspieler mitdenken und mitatmen, damit wir da hinterher eine runde Sache haben. Und Jannik Endemann ist ja der jüngste Sohn von Reinhilt Schneider, das war natürlich auch toll. Das blieb ja alles quasi in der Familie. Geschichten auf hoher See setzen wir ja sowieso so wahnsinnig gerne um, weil das mit diesen Tau-, Planken- und Wellengeräuschen so viel Spaß macht, mit den knarzenden Dielen und mit dem Wasser in unterschiedlichen Emotionen. Damit mache ich Carsten Bunse immer eine große Freude, da hat er immer den Ansporn, dass es so gut wird wie die anderen Hochsee-Geschichten, die wir bereits gemacht haben – oder vielleicht noch ein bisschen besser mit ein paar neuen Geräuschen, die zwischenzeitlich angeschafft wurden.
Spukhäuser scheinen es euch aber auch angetan zu haben. „Spuk in Ballechin House“ – ich weiß gar nicht, wie es richtig ausgesprochen wird…
Wir wissen es auch nicht (lacht)
Werden uns aber erkundigen!
Es wird auf jeden Fall wieder ein Zweiteiler, der aus deiner eigenen Idee kommt. Das Gebäude gilt als eines der unheimlichsten Häuser in Großbritannien. Der Klappentext erinnert ein wenig an „Spuk in Hill House“. Worauf kann sich der Hörer denn in dieser Folge freuen, könnt ihr schon einen kleinen Ausblick geben? Sie hat sich ja leider etwas verschoben…
Dafür gab es mehrere Gründe. Als ich dieses Projekt, welches ein sehr besonderes für mich ist, in Angriff genommen habe, gab es die Pandemie noch nicht. Und es war geplant, nach Schottland zu fahren und vor Ort zu recherchieren und vor Ort zu wohnen. Die Reste von diesem Spukhaus sind heute eine Ferienwohnung. Wir haben ja schon erste Erfahrungen beim „Mayerling“ gemacht, da sind wir ja auch für ein paar Nächte in das Grand Hotel in Wien gezogen, wo die meisten Szenen spielen. Das ist einfach ein absoluter Zugewinn, wenn ich dort die Atmosphäre in mich aufsaugen kann. Das setzt immer ganz tolle kreative Prozesse in Gang. Und da diese Spukgeschichte auf einem historischen Fall basiert, habe ich schon seit längerem recherchiert und festgestellt, dass die Reste des Hauses mittlerweile vermietet werden. Es ist in den 1930er Jahren verlassen worden, dann ziemlich heruntergekommen und in Teilen abgebrannt. Es stehen heute noch der Dienstbotentrakt und das Erdgeschoss vom Hang aus. Man sieht aber noch den ganz klassischen Grundriss. Wegen Corona ging das dann erstmal nicht mit dem Besuch dort. Parallel dazu ging es meiner pflegebedürftigen Mutter sehr schlecht, zum Glück hat sich ihr Zustand mittlerweile etwas stabilisiert. Aber im Frühjahr hat das ziemlich viele Turbulenzen verursacht. Ich hätte aber nur sehr ungerne dieses Hörspiel geschrieben, ohne da mal vor Ort gewesen zu sein. Jetzt sind die Karten ja neu gemischt und ich bin im November ganz alleine für 2 Wochen in diesem Haus gewesen. Man darf da schon sehr gespannt sein, was dabei herauskommen wird. Wir haben die Zeit, die uns für die Produktion geschenkt wurde, noch einmal sinnvoll genutzt. Wir haben einen großen Fan in England, den man von Danksagungen auf den CDs kennt. „Doktor K.“. Ich wusste, dass er unter anderem zum British Museum sehr gut Beziehungen unterhält und ihm geschrieben. Die Dame, die diesen Spuk-Fall im Auftrag der Society for Psychical Research untersucht hat, und die dafür hinterher sehr gescholten wurde, hat ein sehr wild bewegtes Leben geführt. Und es gibt einen Bericht, den sie über dieses Geisterhaus geschrieben hat – was an welchen Tag passiert ist und wer die Zeugen waren. Dieser Bericht ist auch im Druck erschienen, aber da wurden die ganzen Namen geschwärzt, da standen immer nur Anfangsbuchstaben. Man konnte also vieles zuordnen, manches aber auch nicht. Sie kam dann 1930 in New York ins Krankenhaus und ist dann dort 1931 gestorben. In der letzten Woche hat sie noch einmal einiges handschriftlich ergänzt, um sich zu rechtfertigen, dass es damals eine Schmutzkampagne gegen sie gewesen ist. Und sie hat damals auch diverse Fotos gemacht, die man bisher auch noch nie gesehen hat. Das alles zusammen hat sie in ein Paket gepackt und an das British Museum geschickt – das stand in einer Biografie, die jemand aus der Society später über sie verfasst hat. Das habe ich Dr. K. geschrieben und er hat dann im British Museum angefragt, die haben sich auch ganz lieb sofort gemeldet und gesagt, dass es stimmt, dass sie es aber nicht mehr haben. In den 90er Jahren haben sie alles, was ein Buch war, an die British Library gegeben. Mit seinem besten Englisch und seinem Doktortitel hat Dr. K. dann dort erzählt, warum er das haben möchte – und tatsächlich haben die diese „Personal Copy“ mit den ganzen handschriftlichen Anmerkungen und den Fotos! So konnte ich einen Scan für mich bekommen und das ist ein unglaubliches Fest. Ich habe den gedruckten Bericht schon mehrfach durchgearbeitet, aber nun kann ich nochmal durch die Brille der Augenzeugin mit neuen Details da reinschauen. Vor allem war ich gespannt auf die Fotos, weil ich dann vor Ort vergleichen konnte. Ich glaube, da kommt etwas sehr Interessantes bei heraus. Ich habe in meiner Zeit in Schottland einiges an Social Media Content produzieren.
Große Dinge werfen also ihren Schatten voraus…
Ja, das ist ja auch Gruselkabinett 172 und 173, das sind die Dinge, die es auch immer wieder spannend machen. Ich will jetzt nicht sagen, dass es unspannend ist, neue Literatur zu entdecken und zu vertonen oder dass es keine Herausforderung darstellt. Aber man muss natürlich auch den eigenen Spieltrieb mitberücksichtigen und gucken, dass man selber Freude hat und dass man weiterhin für seine Profession brennt. Diese Spuk-Geschichte kenne ich seit 30 Jahren und habe mich immer gefragt, warum es darüber nicht mehr Literatur gibt, keine Verfilmung und warum es keiner aufgreift. Und das haben wir ja schon öfter so gehandhabt: wenn es keiner macht, dann eben wir. Einer muss es ja machen! (lacht) Und ich glaube, dass es spannend wird. Die Grundkonstellation ist ja tatsächlich wie bei Hill House, eine Gruppe von Menschen, die es in dieses Haus zieht, um herauszufinden, was da eigentlich los ist. Und den Berichten nach war da eine ganze Menge los! Der Korrespondent von der Times, der erst nach dem Exorzismus kam, hat das in Grund und Boden geschrieben und gesagt, dass da überhaupt nichts los war. Das sei alles ausgedacht, erstunken und erlogen. Ich denke, die ganze Sache hatte auch viel damit zu tun, dass die Ermittlerin als Frau in den 1890er Jahren in eine Position gerutscht war, die sehr von Männern dominiert war. Arthur Conan Doyle war ja beispielsweise auch sehr involviert in dieser Spiritisten-Clique, die es damals in England gab. Es gab da eine ganze Reihe Leute, die sie gerne da wieder weghaben wollten. Und es hat geklappt.
Wir haben ja gerade schon erfahren, dass ihr bei der Planung der Märchen sehr weit seid. Beim Gruselkabinett steht ja irgendwann mal die 200. Folge an. Gibt es da auch schon Pläne für eine Geschichte?
Ach, das dauert aber noch. Bei dem Gruselkabinett sind wir durch die Flut ja besonders geschädigt gewesen, das ist das, was wir am meisten schieben mussten. Da kommen dann ja auch nur weniger Folgen im nächsten Jahr dazu, weil fast alles eine Saison weitergeschoben werden musste. Das ist deswegen ein bisschen in die Ferne gerückt, deswegen haben wir da noch keine Geschichte ins Auge gefasst. Wir haben aber auch festgestellt, dass diese zwölf Folgen pro Jahr auch nicht so eingeschlagen sind, wie wir uns das erhofft haben. Wir haben jetzt noch einmal Gespräche geführt und sind zu der Erkenntnis gekommen, dass es vielleicht auch zu viel ist.
Und es geht auch darum, dass wir zwischendurch mal eine Verschnauf-Pause brauchen.
Also, keine ellenlangen Pausen, aber dass es auch mal in jeder Saison einen oder zwei oder drei veröffentlichungsfreien Monat geben muss. Wir haben immer sehr eng geplant und dann passierte diese Sache mit der Flut und im Oktober dann noch dieser verheerende Wasser-Rohrbruch im Dachgeschoß, so dass jetzt fast alle Privat- und Geschäftsräume von Grund auf renoviert werden müssen, für all das gab es keine Pufferzeit. Da ist uns unsere Planung komplett um die Ohren geflogen. Wir müssen also lernen, in Zukunft etwas großzügiger zu planen. So, dass auch mal jemand krank sein kann, oder dass man sich mal mehr um einen pflegebedürftigen Menschen kümmern kann, als das sonst möglich ist. Das sind so Erkenntnisse, die spät kommen, die nun aber da sind.
Mit „Harry Price und der Fall Rosalie“ habt ihr bei Sherlock Holmes wieder ein Marc Gruppe-Original vertont, das aber wieder auf einer historischen Persönlichkeit basiert. War das wieder eine Lebens-Recherche wie bei „Mayerling“?
Nicht ganz so lange, aber schon auch lange! (lacht) Diese vermeintlich wahren Spukgeschichten haben mich schon fasziniert, seit ich 12 oder 13 Jahre alt war. Ich habe dann auch angefangen, recht viel Literatur dazu zu sammeln, die ich auch immer wieder in Augenschein nehme. Das ist ein Thema, das mich nicht loslässt. Aus diesen Büchern kannte ich schon diese Geschichte und fand es sehr spannend, Holmes und Watson da rein zu basteln.
Der Titel deutet ja ein wenig an, dass Harry Price mehrere Fälle bearbeitet hat. Könnt ihr euch eine Rückkehr der Figur vorstellen?
Ich glaube tatsächlich eher nicht. Harry Price ist ja auch sehr verwoben mit der Borley-Pfarrhaus-Spuk-Geschichte, die haben wir aber quasi schon in Folge zwei erledigt. Aber vielleicht kommt er im Gruselkabinett noch einmal vor…
Herman Cyril McNeile ist ja momentan so etwas wie ein Co-Autor bei Sherlock. Wie viele Geschichten habt ihr noch für eine Umsetzung?
Für zwei oder drei Saisons reicht es auf jeden Fall noch, also zwölf Geschichten.
Ist es einfach, diese in den Sherlock-Kosmos zu integrieren oder gibt es auch Geschichten, die sich ein wenig sträuben?
Das ist total einfach! Generell sind die Ermittler dort auch zu zweit, die Konstellation ist also ähnlich. Es gibt immer einen, der mehr beobachtet und einen, der Holmes-mäßig ermittelt. Sagen wir mal: es ist für mich einfach, weil ich die Art und Weise, wie Joachim Tennstedt und Detlef Bierstedt die Figuren anlegen, sehr verinnerlicht habe, dann passiert es automatisch, dass das in ein Holmes-Deutsch gleitet und Watson seine Bemerkungen liefert, für die wir ihn lieben und was immer für ein Grinsen sorgt. Das ist mir nicht so vordergründig bewusst, das passiert bei der Umarbeitung einfach irgendwie. Das kann ich gar nicht so beeinflussen.
Gibt es denn in naher Zukunft noch einmal Original-Geschichten von Doyle?
Nein, das planen wir nicht. Das wollte man leider, leider nicht von uns. Ich fand die Umsetzungen ja sehr gelungen, es hat mir wahnsinnig viel Spaß gemacht. Aber das hat der Markt leider nicht zu schätzen gewusst.
Das wurde schon gehört, aber es gibt auch im Stream eine deutliche Tendenz in der Mitte der Serie, wo wir die Originale vertont haben, dass es immer stark abfällt. Und als wir dann in den 30ern mit dem „grauen Haus“ weitergemacht haben und es exklusive Fälle sind, die jetzt nicht schon fünfmal vertont wurden, läuft es deutlich besser.
Gibt es dann wieder mehr Geschichten von dir selbst oder werden auch andere Autoren auftauchten als Herr McNeile?
Da müsst ihr euch überraschen lassen. (lacht)
Das eine schließt das andere ja nicht aus. Aber momentan sind wir mit dem Co-Autoren sehr glücklich, das sind so schöne Sachen, die er sich da ausgedacht hat. Gerade die Folgen, die wir jetzt aufgenommen haben, sind sehr schön und sehr unterschiedlich.
„Was die drei Bären im Wald erlebten“ habt ihr als Titania Special ja schon für letztes Jahr angekündigt. Momentan ist es aber bei den aktuellen Ankündigungen auch nicht zu finden. Was passiert mit der Geschichte?
Das ist leider noch völlig unklar. Titania Special wird wirklich das sein, was wir am meisten schieben, weil das am wenigsten einbringt. Und die drei Marienkäfer-Geschichten sind nun auch so gut wie aufgenommen, das harrt ja auch nur noch eine Nachbearbeitung – aber uns fehlt einfach die Zeit.
Die Kindersachen sind sehr viel aufwendiger und größer besetzt als ein Holmes oder ein Gruselkabinett – bringt aber kaum etwas ein.
Wenn dann nächstes Jahr „nur“ vier Grimms Märchen erscheinen, die dann auch noch ein kleines bisschen kürzer sind als aktuell, müssen wir mal schauen, ob da womöglich Freiräume entstehen.
Eure Cover kommen ja immer wieder sehr gut an. Könnt ihr euch vorstellen, die auch mal in guter Qualität zu drucken?
Das ist erstmal ein rechtliches Problem, die Rechte für die Cover-Nutzung liegen bei uns, aber das wäre doch eine andere Nutzung.
Wir sind da ein bisschen vorsichtig geworden – wie bei den Grimms Märchen nach den CDs geschrien wurde, wird es hier genau das gleiche sein. Wenn es sich dann 25 bis 50 Leute kaufen, weil sie es toll finden, lohnt sich der Aufwand einfach nicht.
Nach Vinyl-Auflagen kommen ja auch immer mal wieder Nachfragen…
Finden wir auch toll, aber unsere Hörspiele sind einfach zu lang für eine Vinyl. Das wären dann zwei oder drei, und dann ist es wieder so teuer, was willst du dann dafür nehmen?
Hast du noch deine berühmt-berüchtigten letzten Worte für uns? Was willst du euren Hörern noch sagen?
Wir danken sehr für die viele mentale Unterstützung in diesem tatsächlich mehr als schwierigen Jahr für uns.